Sterbende Gesellschaft

Hinübergehen

Die Lebendigkeit hinter sich lassen, in das Reich des Todes gehen, sterben. Das ist der heftigste Einschnitt im Leben einer Jeden, eines Jeden.

Früher überquerten wir dann den Fluss Styx, um in den Hades mit all seiner Verzweiflung zu gelangen. Oder wir klopften an irgendwelche Himmelstüren und hofften auf den gnädigen Einlass. All diese Bilder tragen nicht mehr.

Maschinen als Ebenbild

Die moderne Gesellschaft macht sich nicht mehr von Götterwelten abhängig und gestaltet sich ihr Reich des Todes selbst. Dafür hat sie sich mit der Maschine ein totes Ebenbild des Menschen

Gespräch

geschaffen.

  • Zu Beginn nannten wir die Maschine Werkzeug und nutzten sie auch als solches.
  • Dann übernahmen wir ihre Sicht auf das Leben und sahen im Menschen eine komplexe Apparatur, in der jedes Rädchen in das andere greifen sollte. Biologen wurden zu Ingenieuren des Lebens.
  • Dann übernahm die Maschine die Macht der Gestaltung und Transformation. Sie macht unsere Kommunikation kompatibel zu ihrer. Sie setzt Regeln, an die wir uns anpassen.

Lebendigkeit ist eher hinderlich, um kraftvoll diese Welt zu gestalten.

Sterbende Gesellschaft

Die Maschine schafft ein Ebenbild unserer Lebenswelt als eine sich ständig perfektionierende tote Imitation. Um bestehen zu können, löst sich unsere Gesellschaft von der Lebendigkeit und stirbt. Wir sterben mit.

Grober Versuch des Sterbens

Sterben Maschinen

Schon vor 100 Jahren gab es mit der Industrie und dem Militär zentrale Bereiche, in denen dies offensichtlich war. Entsprechend den damaligen Maschinen wirkte alles noch sehr ungelenk und irgendwie fremd. Spezielle Institutionen ermöglichten die Sozialisation in diese Welt. So bekam der „Körperpanzer“ der Männer in den Kadettenschulen seine endgültige Form und sie konnten in die Maschinenwelt des Militärs hineingleiten. 1

Eine ganze Gesellschaft stirbt diesen Tod im Faschismus und Zweiten Weltkrieg.

Zeitzeugenbericht 1927. Beim Klick auf das Bild werden Daten an Youtube übermittelt

Schöne tote Welt

Die Ausrichtung unseres Lebens an Maschinen ist seit dem geblieben. Allerdings ist die Intensität in einem Maße gestiegen, die die Sehnsucht nach dem Drill des Militärs geradezu harmlos erscheinen lässt.

Die Maschinen haben ihre Rohheit verloren und unsere Bilder vom gesellschaftlichen Tod sind filigran geworden. Und die Wissenschaft nutzt zur Beschreibung völlig selbstverständlich am Toten orientierte mechanistische Modelle.2

Die Verlockung der toten Gesellschaft spricht eine neue Sprache: sie ist bunt, wissend und geschmeidig. KI & Co bieten wunderbare Möglichkeiten.

Sterben - schöne Menschen

Wissen wird zur Information, Kontakt zur Vernetzung, Unwillkürlichkeit zum Zufall, Orgasmus zum Ziel.

Denken, Fühlen, Sprechen sind schon längst in diese tote Welt transformiert.

Kunstwerke werden perfekt, drücken aber nichts mehr aus. Meine Freunde bekommen eine Unmenge interessanter Daten von mir, aber ich spüre sie nicht. Mein Hirn suhlt sich in der Omnipotenz des Internets und vereinsamt gleichzeitig als Rad einer Megamaschine.

Es ist eine Welt voller Erlebnisse ohne die Unwägbarkeiten der Lebendigkeit. Lust ist verfügbar, aber befriedet nicht mehr.

Wir digital natives gehen den Weg in die Starre und gleichzeitigem Aktionismus gern und freiwillig. Die Grenze zwischen Tot und Leben wird immer unbedeutender.

„Nun bleib mal sachlich!“

Unser Gehirn wird durch denkende Computer imitiert und gleichzeitig nutzen wir diese toten Maschinen als Modell für unser lebendiges Gehirn. Dies ist der sicherste Weg, Lebendigkeit und Berührbarkeit aus dem Bewusstsein zu verdrängen.

Die Illusion, so das Leben und den Tod in den Griff zu kriegen, ist ja das Verlockende an diesem sanften Hinübergehen. Das Hinübergehen ins Jenseits erübrigt sich allerdings. Das Totenreich wird diesseitig. Es ist eine Existenz zwischen Baum und Borke. Wir müssen keinen Abschied mehr nehmen.

Apfelbaum mit Blüten und Früchten

Wir sterben im Verlust der Lebendigkeit und leben weiter als tote Imitate unserer selbst.

Es ist ein Leben knapp am Leben vorbei und gerade das macht es anziehend. Wir dürfen im Ganzen aufgehen und uns gleichzeitig mächtig fühlen. Es ist ein gemachtes, geordnetes Leben, dem Vertrauen und Mut entzogen wurde. Dieses Sterben ist einfach.

Erschreckend, wie gut ich durch dies Leben komme, ohne tatsächlich noch zu verstehen, was Lebendigkeit ist.

Wir sind Lebewesen. Dies zu verteidigen ist was jetzt zählt.

Organic native?

Hat diesen Text tatsächlich die KI generiert oder doch nur mein Hirn?


Quellen
Video: Wilhelm Reich berichtet von einer Demonstration in Wien 1927. Dies ist ein Ausschnitt aus der Dokumentation: „Wer hat Angst vor Wilhelm Reich“

Fotos: Abgesehen von dem Foto aus „Modern Times“ sind die Bilder KI generiert (so enstehen perfekte Ansichten von Bäumen mit Blüten und Früchten gleichzeitig)

  1. vgl. Theweleit: Männerphantasien, Kap. Sexualität und Drill ↩︎
  2. Die Vitalisten (u.a. Bergson, Driesch) spielen als Gegenpol der Mechanisten (wie in den 1920er Jahren) keine Rolle mehr. Biologen, die die Lebendigkeit ins Zentrum stellen (wie z.B. W. Reich vgl.: Strick: Wilhelm Reich, Biologist) haben allenfalls anekdotische Bedeutung. Außer vielleicht Maturana mit seiner systemischen Perspektive (vgl. Pörksen: Im Gespräch: Humberto R. Maturana) ↩︎

Share


Categories